Filmreihe:
"V(ideo)T(ape) Is Not TV?"
- fast forward durch die Geschichte der US-Videobewegung

21.9. - 24.9.01
jeweils ab 20 Uhr (Regenbogenkino)

Eintritt pro Tag: 9 DM

"VT is not TV!" so lautete einst der Schlachtruf der US-amerikanischen Videobewegung und etliche Videoprojekte wie Global Village und Video Free America experimentierten Anfang der siebziger Jahre mit Videotheatern und Multikanalinstallationen. Während die ersten VideoaktivistInnen aus einem sich erst langsam politisierenden subkulturellen-künstlerischen Hintergrund kamen, dokumentierten die Newsreel-Kollektive die 68er Revolte noch auf Film. Insbes. die Erfahrungen des kanadischen Programms "Challenge for Change", die u.a. von George Stoney in die USA importiert wurden, lieferten ein Vorbild für eine community-orientierte Videoarbeit.

"VT is not TV?" - der alternative Journalismus von Gruppen wie Raindance/TVTV oder dem DownTownTVCenter um Jon Alpert reformierte die gängige TV-Berichterstattung und ermöglichte ihren ProtagonistInnen schließlich eine Karriere in den institutionalisierten Produktionsstrukturen. Gleichzeitig lehnten etliche Projekte diesen Weg in den (TV-) Mainstream ab und beharrten wie die Videofreex auf einem Basis-bezogenen Ansatz: einem Einsatz des Mediums als Katalysator für konkrete soziale Veränderungen.

"VT is not TV!" - für die verschiedenen sozialen Bewegungen im Verlauf der 70er, 80er und 90er Jahre eignete sich Video wie kaum ein anderes Medium dazu, das eigene Selbstbewußtsein und die daraus resultierende Kritik der Verhältnisse zu formulieren und zu vermitteln. Die Strategien eines solchen Videoaktivismus sind gleichwohl unterschiedliche. Sie reichen von der Veröffentlichung privater (Unterdrückungs-)Erfahrungen bis hin zur kraftvollen Dokumentation der öffentlichen Aktionen einer Bewegung. Sie reichen von poetischen, dem Fluß der Assoziationen Platz lassenden Videoessays, über ironische Performances bis hin zur (analytischen) Dekonstruktion hegemonialer (Medien-) Realitäten.

Alle Filme im englischen Original.

Das Programm im einzelnen:


21.9.01 - 20.00 Uhr:

Programm 1:
Die Newsreel-Kollektive - Die 68er Revolte - aber auf Film //
Challenge for Change - Die Ursprünge des community-TV

No Game // Newsreel // 17 min // 1968
Oktober 1967, 100 000 Menschen marschieren auf Washington, um ein Ende des Vietnam Kriegs zu fordern. Verschiedene FilmemacherInnen kollektivierten ihr Material für diesen ersten Newsreel Film. Die friedliche Demonstration endete mit einer Besetzung des Pentagon-Geländes, bis schließlich die mit Bajonetten und Schlagstöcken bewaffnete Armee gegen die friedlichen Demonstranten vorgeht.

Black Panther // Newsreel // 15 min // 1968
Eine mitreißende Dokumentation über die Führung der Black Panther Party von 1967. Der Film enthält sowohl ein Interview mit dem iInhaftierten Parteivorsitzenden Huey P. Newton als auch Bilder über den Polizeiangriff auf das Panther Büro in Los Angeles. Dieser Film, der zu den am weitesten verbreiteten Newsreel-Filmen zählt, wurde ursprünglich unter dem Titel "Off the pigs" vertrieben.

Your On Indian Land // George Stoney für das National Film Board of Canada: Challenge for Change // 36 min // 1969
Eine Dokumentation über die Proteste der Mohawks des St. Regis Reservats 1969. Durch die Blockade einer internationalen Brücke zwischen Kanada und den USA protestierten die Mohawks gegen das Verbot von Seiten der kanadischen Behörden persönliche Bedarfsartikel zollfrei in den USA einkaufen zu dürfen - ein Recht, das ihnen 1794 zugesprochen wurde.
George Stoney gründete später in N.Y. das Alternate Video Center, eine wichtige Ausbildungsstätte für zahlreiche community-Videoaktivisten. Er war maßgeblich an der Einführung der public access-Kanäle beteiligt.


21.9.01 - 22.00 Uhr:

Programm 2:
Multikanal-Videotheaterinstallationen - Video Free America und Global Village

The Continuing Story of Carel and Ferd // Video Free America // 58 min // 1970-75
Als faszinierender Hybrid zwischen Performance und video verité stellt der Film Carel und Ferd vor, ein Paar, das es Video Free America erlaubte, die intimen Momente ihrer Beziehung kontinuierlich über einen fünfjährigen Zeitraum zu dokumentieren. Carel, eine Porno-Darstellerin, und Ferd, ein bisexueller Junkie, laden die Kamera dazu ein, ihre Hochzeit, ihr Sexleben und ihre Streitigkeiten zu beobachten.
Lange vor jeder Doku-Soap im Fernsehen wurde The Continuing Story... ursprünglich als Multikanal-Installation produziert und bei jeder Vorführung live aus altem und neuaufgenommenem Material auf acht Monitore gemischt. "Ein Video-Roman über Pornographie, sexuelle Identität und die Wirkung eines zu engen Kontakts mit einem elektronischen Medium."

The Irish Tapes // Global Village // 57 min // 1975
Von 1971 bis 1973 sammelte Global Village über hundert Stunden an Rohmaterial in Nord Irland und stellte es zu einer Ddrei-Kanal-Installation mit zwölf Monitoren zusammen. Der Video kontrastiert die Haltung der irischen '`community'` in New York gegenüber Nordirland, den sog. "troubles", mit der rauhen, unbarmherzigen Lebensrealität in Belfast. Mit ihrem starken Realismus und ihrer brutalen Direktheit schuf Global Village ein eindrucksvolles Plädoyer für den Rückzug der Briten aus Nord Irland.


22.9.01 - 20.00 Uhr

Programm 3:
Alternativer TV-Journalismus I: Raindance und TVTV

The Rays // Raindance // 23 min // 1970

In freier Form dokumentiert The Rays die philosophischen Träumereien der Raindance-Mitglieder M. Shamberg, P. Ryan und F. Gilette anläßlich eines Aufenthalts am Strand von Point Reyes, Kalifornien. Wie ein Joint wird die Kamera im Kreis herumgereicht, während man über das Wesen des Fernsehen und über alternative Kommunikationssysteme theoretisiert. Der Titel bezieht sich sowohl auf den Ort Point Reyes als auch auf das Rundfunksignal eines in der Nähe stehenden Sendemastes, der das Kamerabild mit eigentümlichen Strahlen stört.
Raindance verstand sich als "think tank" der alternativen Videobewegung. Die Gruppe gab regelmäßig die Zeitschrift "radical software" heraus und der von Shamberg 1971 veröffentlichte Artikel "Guerilla TV" avancierte zu einem Manifest der Bewegung.
The Rays

Lord Of The Universe // TVTV // 58 min // 1974

Ausgezeichnet mit dem wichtigsten amerikanischen Preis für Rundfunk Journalismus bietet Lord Of The Universe ein kritisches Porträt des 16-jährigen Gurus Maharaj Ji und der Zusammenkunft seiner Anhänger zum "Millenium 73 Treffen", dem vorgeblich "wichtigsten Ereignis in der Geschichte der Menschheit". Mit vernichtender Genauigkeit entlarvt TVTV die Korruption und Scheinheiligkeit des Gurus und seiner Umgebung, zu der auch ehemalige Politaktivisten zählen. Der Gebrauch von tragbaren Videokameras ermöglichte TVTV einen unmittelbaren Zugang zur Familie des Gurus und zu den betrogenen Anhängern der neuen Religion - zumeist ehemalige Hippies und AktivistInnen, deren Sehnsucht nach neuer Sinngebung charakteristisch für den Zerfall der 68er Bewegung ist.
TopValueTV wurde 1972 von Shamberg zusammen mit weiteren Mitgliedern von Raindance, den Videofreex und anderen Gruppen gegründet, um seine Vorstellungen von "Guerilla TV" umzusetzen.


22.9.01 - 22.00 Uhr

Programm 4:
Community TV: Videofreex / Media Bus / Lanesville TV

Probably The Worlds Smallest TV Station // Media Bus // 60 min // 1975

Das Video dokumentiert den täglichen Sendebetrieb von Lanesville TV, einem halb-legalen Piraten-TV-Sender, der von ehemaligen Mitgliedern der Videofreex ins Leben gerufen wurde, nachdem sie sich aus dem Projekt TVTV zurückgezogen hatten. Eine Mischung aus einer TV-Hippiekommune und einem community-TV für die 400 Einwohner von Lanesville. Der Film erhält Beispiele von Videos, die sowohl von der Gemeinde, als auch von dem Kollektiv produziert wurden.


22.9.01 - 23.15 Uhr

Programm 5:
Alternativer TV-Journalismus II: Jon Alpert und das Down Town TV Center

Cuba - The People // Jon Alpert und Down Town TV Center // 58 min // 1974

Von der Kritik als "beste Dokumentation über Cuba seit der Revolution Castros" bezeichnet, gilt dieses Video als ein gelungenes Beispiel für einen neuen, Partei -ergreifenden Journalismus. Als erste US-amerikanische TV-Crew erhielt DTTV nach der Revolution 1959 die Erlaubnis auf Cuba zu drehen und konnte sechs Wochen lang das Land bereisen. Mit seiner direkten, konfrontativen Gesprächsführung interviewte Jon Alpert gewöhnliche Menschen — Bauern, Arbeiter, Hausfrauen — über ihren Alltag vor und nach der Revolution. Der erfrischende Stil Alperts ermöglichte ihm schließlich eine Karriere bei NBC, einem der großen privaten Programmanbieter.


23.9.01 - 20.00 Uhr

Programm 6:
Video-Essays indigener Videomacher: Edin Velez und Victor Masayesa Jr.

Meta Mayan II // Edin Velez // 20 min // 1981

Aufgenommen im Hochland Guatemalas ist Meta Mayan II ein scharf beobachtendes, poetisches Videoessay über die indigene Kultur der Mayas. Jede ethnographische Bemerkung vermeidend, zeigt Velez in kraftvollen Bildern die Landschaften, Gesten, Strukturen und Rhythmen der Maya-Kultur. Der mörderische Bürgerkrieg mit denen die Mayas in Guatemala konfrontiert sind, wird auf der Tonspur über Ausschnitte aus US-amerikanischen Nachrichtensendungen transportiert. Mittels subtiler Videoeffekte gelingt es Velez die Stärke und Würde der Mayas auszudrücken. Seine slow-motion Aufnahme einer Maya-Frau, die mit einer Mischung aus Neugier und Mißtrauen in die Kamera schaut, wird zu einer Metapher für eine Kultur im Übergang. Meta Mayan II


Itam Hakim, Hopiit // Viktor Masayesa, Jr. // 60 min // 1985

Dieses Video ist eine poetische Visualisierung der Hopi-Philosophie und -Prophezeiung. Die Mythen, Legenden und die Geschichte der Hopi, deren Kultur auf einer ausgeprägten oralen Tradition basiert, übersetzt Masayesa in sein Video. Ross Macaya, das älteste Mitglieder einer Geschichtenerzähler-Familie berichtet in der Sprache der Hopi, über seine persönliche Geschichte und die seiner Kultur. Im Gegensatz zu der interpretativen Praxis der Ethnographie thematisiert Masayesa seine Herkunft über Beobachtung und darüber, daß er einer Hopi-Stimme ungebrochen Gehör verschafft. Seine überzeugende Darstellung der Landschaft Arizonas verbunden mit dem Rhythmus des Geschichtenerzählers verschmelzen zu lyrischer Schönheit. Itam Hakim, Hopiit


23.9.01 - 22.15 Uhr

Programm 7:
Video und die Frauenbewegung: Cara deVito und Martha Rosler.
Das Private ist Politisch; Performance und Dekonstruktion.

Ama l`Uomo Tuo (Always Love Your Man) // Cara DeVito // 19 min // 1975

Diese klassische Dokumentation ist sowohl Charakterstudie als auch sozialkritische Dokumentation. DeVito porträtiert ihre Großmutter, Adeline LeJudas, in ihrer New Yorker Wohnung. Die Präsenz der Kamera in der gewohnten Umgebung erlaubt einen intimen Dialog zwischen Enkelin und Großmutter, in der das Porträt einer durch die Gewalt ihres Ehemanns verletzten, aber dennoch selbstbewußten Überlebenden entsteht. Überraschenderweise beendet Adeline ihre Erinnerung mit dem Satz "Ama l`Uomo Tuo. Du hast deinen Mann immer zu lieben — egal was auch passiert." und offenbart damit, wie tief die gesellschaftlichen Wertvorstellungen, die sie fast zerstört hätten, noch immer in ihr verankert sind.

Semiotics Of The Kitchen // Martha Rosler // 6 min // 1975

Semiotics Of The Kitchen ironisiert die Form einer Kochvorführung in der laut Rosler, die Bedeutung bestimmter Geräte, die gewöhnlich mit dem Bereich Haushalt assoziiert werden, in ein Lexikon der Wut und Frustration uminterpretiert werden. In dieser Performance-orientierten Arbeit, fokussiert die statische Kamera eine Frau in der Küche. Vor ihr liegen verschiedene Geräte auf dem Tisch, die sie nacheinander aufnimmt, um sie zu bezeichnen und ihre Funktionsweise zu demonstrieren. Ihre Gesten unterscheiden sich allerdings vom gewöhnlichen Gebrauch dieser Geräte. Die gewohnten Gegenstände der Haushaltswaren-Industrie, die alltäglichen Gesten der Essenszubereitung verwandeln sich in Zeichen des Zorns und der Gewalt. Semiotics Of The Kitchen

Vital Statistics Of A Citizen, Simply Obtained // Martha Rosler // 39 min // 1977

Dieses kühle Band, "opernhaft" konzipiert - aber weder Musical noch Dokumentation - erforscht, die Verobjektivierung von Frauen in einer technokratischen / bürokratischen Gesellschaft. Im Mittelpunkt steht eine lange, kontinuierliche Einstellung über eine detaillierte Vermessung und Bewertung einer Frau, durchgeführt von einem weiß-bekittelten männlichen Wissenschaftler und einem Chor von drei Assistentinnen. Wie gelangen wir dazu, uns als Objekte zu betrachten? Wie werden soziale Kontrolltechniken durch Fragmentierung und Vergleich unterstützt? Die letzten Einstellungen des Films werden von einer Litanei über "Verbrechen gegen Frauen" begleitet. Roslers distanzierter Blick auf die systematische, institutionalisierte Wissenschaft von Vermessung und Klassifikation, weckt Assoziationen an die pseudo-wissenschaflichen Klassifikations- und Selektionsmethoden des NS. Vital Statistics Of A Citizen


24.9.01 - 20.00 Uhr

Programm 8:
Video- und AIDS-Aktivismus. Testing the Limits und Gregg Bordowitz

Testing The Limits // Testing The Limits Collective // 30 min // 1989

Als Bewegungsfilm beschreibt Testing The Limits wie Betroffene, AktivistInnen und Mitglieder von Drogenberatungsstellen und anderen Gesundheitseinrichtungen den selbstbewußten Kampf gegen AIDS, gegen die US-amerikanische Gesundheitspolitik aufgenommen haben. Der Film war einer der wichtigsten Mobilisierungsvideos Ende der achtziger Jahre u.a. gegen Zwangs-HIV-Tests, für Safer-Sex-Kampagnen an Schulen und für eine großzügige Finanzierung der AIDS-Forschung.

Fast Trip, Long Drop // Gregg Bordowitz // 54 min // 1994

Dieser Film von dem Act-Up Aktivisten und ehemaligen Testing The Limits-Mitglied G. Bordowitz gilt als ein Wendepunkt im Bereich der unabhängigen Aids-Medienarbeit. Es ist ein persönliches Video, eine auto-biographische Arbeit, ein Essay über das Problem dokumentarischer Zeugenschaft. Bordowitz bietet eine Reflexion über Geschichte, Tod, Aktivismus und Identitäten. "Die Struktur des Films funktioniert so, daß es zu jeder positiven Identititätsbehauptung eine Negation gibt. Ich bin jüdisch, aber ich bin queer, und ich habe AIDS — na und? Jede positive Identitätsbehauptung benötigt eine Negation, um sie zu ersetzen, weiterzuentwickeln und auf eine neue Stufe zu heben." (G. Bordowitz)


24.9.01 -22.00 Uhr

Programm 9:
Not Channel Zero. "Why is the black wo/man so angry — so angry?"

Black Women, Sexual Politics And The Revolution // Not Channel Zero // 30 min // 1992

Schwarze Frauen sprechen über ihre Sexualität, über Klassen- und Geschlechterrollen. Das Video untersucht, wie afro-amerikanische Frauen mit Armut, Abtreibung, Gewalt in der Familie und dem Mangel an Gesundheitsversorgung umgehen. Es kontrastiert diese alltägliche Realität mit der Repräsentation von schwarzen Frauen in den Medien, insbesondere in Bereich der Musikvideoclips.

The Nation Erupts // Not Channel Zero // 60 min // 1992

"Also ich kann meinen Kindern erklären, warum arme Leute Geschäfte plündern. Was ich allerdings meinen Kindern nicht erklären kann, das ist Rassismus. Die Gründe dafür, warum arme Leute stehlen, sind sehr einfach, wenn ihr das nicht begreift, dann habt ihr ein Problem" — so eine Bewohnerin von South Central Los Angeles nach den Rodney-King-Riots 1992.

Not Channel Zero untersucht Ursachen und Reaktionen auf die landesweiten Unruhen nach dem Freispruch der angeklagten Polizeibeamten, die offensichtlich — wie ein Amateurvideo belegte - Rodney King mißhandelt hatten. In einem an das Sampling von Rap- und HipHop-Acts angelehnten Stil wird die mediale Darstellung der L.A. riots dekonstruiert. "Die anspruchsvollste und komplexeste Interpretation der Riots". (John Hanhardt, Whitney Museum of American Art 1993)


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hybrid video tracks
ein ausstellungsprojekt der NGBK
berlin, 01.09. bis 07.10.2001

Stand: