Video im Alltag: zwischen privatem und öffentlichem Einsatz

Immer tiefer ist das Medium Video in die unterschiedlichsten gesellschaftlichen Sphären des Alltags eingedrungen und höhlt von verschiedenen Positionen her das aus, was einmal als Privatsphäre betrachtet wurde (Webcams, Bildtelefon, Videoüberwachung von öffentlichen Räumen und Arbeitsplätzen oder auch der klassische Heimvideogebrauch zur Aufzeichnung von Familienfeiern, Urlaub etc.).

lifestyle collage Während ein Kontrollnetz aus vielen little brothers jede authentische Lebensäußerung argwöhnisch zu registrieren scheint, hoffen wir mit "big brother" und allen anderen Real-life-Doku-soap-Formaten vergebens darauf, vielleicht doch einen Blick auf das Leben werfen zu dürfen. Aber liegt der Reiz dieser Reality-TV-Shows tatsächlich in der versprochenen "Authentizität"? Oder wohnen wir bei Shows wie "big brother" nicht vielmehr einem Casting bei, in dem die einzelnen KandidatInnen uns ihr mehr oder minder erfolgreich erarbeitetes "sympathisches Freizeit-Ich" zur Begutachtung vorlegen - ein "Freizeit-Ich", das wir alle u.a. nach den Vorgaben des visuellen mainstreams beständig zu redesignen haben.


Nachdem wir in unzähligen Manager-, Verkäufer-, Rhetorik- oder Selbstbewußtseinsseminaren - dank dem Feedback der Videoaufzeichnung - unser erfolgreich-engagiertes, teamfähiges "Berufs-Ich" trainiert haben, ermahnen uns nun die zahllosen Überwachungskameras - häufig genug Attrappen - und die freiwillig in der Privatsphäre installierte web-cam daran, das Freizeit- und Berufs-Ich tendenziell zusammenfallen und zu jeder Zeit abrufbar sein müssen. Rückzugsräume von diesen Selbstzumutungen werden immer weiter eingeschrumpft und im Gegenzug werden diejenigen, die diesem Formierungsprozess, diesem beständigen Design-Contest um das sympathisch-attraktive, konsumfreundliche, beruflich-engagierte Ich nicht gewachsen sind, immer weiter aus der Öffentlichkeit ausgegrenzt. isse mittebank leer

Mit dem Ausstellungsbereich 'Kontrolle und (Video-)Überwachung' wollen wir neue und bereits alltägliche Kontrolltechnologien in Bezug auf ihre Auswirkungen auf das Individuum und die darin wirksamen sozialen Ein- und Ausschlußmechanismen untersuchen. Darüber hinaus werden einzelne Initiativen und Projekte vorgestellt, die sich insbesondere mit der Videoüberwachung öffentlicher Räume und der dahinter liegenden Sicherheitsdiskurse kritisch auseinandersetzen.

Die Bereiche 'Heimvideo' und 'Reality TV' kreisen um die Frage von "Authentizität" und Formierung des Ichs.

Die typischen Heimvideos einer Familienfeier oder eines Betriebsausflugs ziehen ihre unfreiwillige Komik eben gerade aus jenen Momenten in denen sich das Ich ohne sein antrainiertes stromlinienförmiges Design Bahn bricht. Die Rückkehr des Unsympathischen, Häßlichen und Verschrobenem zelebrieren auch zahlreiche Trash-Inszenierungen, die ähnlich den klassischen Familienvideos ohne Anspruch auf ein Publikum produziert werden und vielleicht ein letztes Reservat vor den Zumutungen der hippen Lounge- und Partygesellschaft bieten.

hybrid video tracks
ein ausstellungsprojekt der NGBK
berlin, 01.09. bis 07.10.2001

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